Roman Bolliger aus Hochdorf LU gewinnt vor Bundesgericht
Jetzt darf der Staat fossile Heizungen verbieten

Klimaschutz ist wichtiger als Eigentum, sagt das Bundesgericht. Das gilt ab sofort für fossile Heizungen – und vielleicht auch bald schon für Benzinautos.
Publiziert: 07.05.2023 um 09:50 Uhr
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Aktualisiert: 08.05.2023 um 14:59 Uhr
Philippe Rossier
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Roman Bolliger lancierte die Initiative «Hochdorf heizt erneuerbar – ab 2030 erst recht».
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Danny SchlumpfRedaktor SonntagsBlick

Klimapolitik beschäftigt die Gerichte: Tut der Staat zu wenig für die Umwelt und verletzt deshalb die Menschenrechte der Klimaseniorinnen? Oder übertreibt er es im Gegenteil mit den Massnahmen und greift unzulässig in die Rechte von Autofahrern und Hausbesitzern ein? Was muss der Staat tun – und was darf er?

So viel ist seit dieser Woche klar: Er darf fossile Heizungen verbieten. Das hat das Bundesgericht am Mittwoch in einem wegweisenden Urteil entschieden.

Die Richter hatten über eine 2019 lancierte Gemeinde-Initiative aus Hochdorf LU zu befinden: «Hochdorf heizt erneuerbar – ab 2030 erst recht». Das Volksbegehren verlangt, dass im Dorf ab 2030 nur noch mit erneuerbaren Energien geheizt werden darf.

Gemeinderat sah Eigentumsrechte bedroht

«Um die Pariser Klimaziele zu erreichen, können wir uns nur noch wenig CO2-Emissionen erlauben», sagt Initiant Roman Bolliger (47). Der Gebäudepark spiele eine zentrale Rolle: «Durch Umstellung auf erneuerbare Energien beim Heizen können wir Emissionen relativ einfach vermeiden.»

Der Gemeinderat von Hochdorf erklärte die Initiative allerdings für ungültig: Sie verletze die Eigentumsrechte der Besitzer fossiler Heizungen. Bolliger gelangte mit einer Beschwerde an den Luzerner Regierungsrat – der die Initiative ebenfalls ablehnte. Auch das Kantonsgericht sagte Nein, worauf Bolliger vor Bundesgericht zog.

Dieses kam nun einstimmig zum Schluss: Die Initiative sei sehr wohl gültig, einer Abstimmung stehe nichts im Weg. Denn das Eigentum stehe nicht über dem Klimaschutz, so das Gericht. Es sei gerade umgekehrt: «Das öffentliche Interesse überwiegt die Bedenken hinsichtlich der Eigentumsgarantie», sagte Richter François Chaix (58). Hinzu komme die Bedeutung des Stimmrechts, betonte Richter Laurent Merz (58): «Dass das Volk entscheiden kann, ist ein zentrales Element unserer Demokratie. Es ist sehr hoch zu gewichten.»

«Das Bundesgericht hat den Klimaschutz höher gewichtet als das Eigentum.»Lea Bischof, Gemeindepräsidentin

Nun muss der Hochdorfer Gemeinderat die Abstimmung vorbereiten – und sich Gedanken über die konkrete Ausführung machen. Denn auch dies hielt das Bundesgericht fest: Es sei am Gemeinderat, allfällige Entschädigungen für betroffene Hausbesitzer festzulegen. Besonders Richter Thomas Müller (58) betonte am Mittwoch die Kosten für Eigentümer, die erst kürzlich eine fossile Heizung installiert hätten: «Ich kenne mich in Hochdorf nicht aus. Aber ich gehe davon aus, dass wir nicht nur von Villenbesitzern sprechen.»

Die Zahl der Betroffenen dürfte allerdings überschaubar sein: Schon heute wird die Hälfte aller Heizungen in Hochdorf mit Erneuerbaren versorgt. Seit 2019 wurden keine Anträge für Ölheizungen mehr gestellt.

«Das Bundesgericht hat den Klimaschutz höher gewichtet als das Eigentum», sagt die Hochdorfer Gemeindepräsidentin Lea Bischof (65) zu SonntagsBlick. Glücklich wirkt sie dabei nicht. Sie betont aber: «Die Initiative wird den Stimmberechtigten innerhalb der gesetzlichen Frist vorgelegt.»

Ein Novum in der Schweiz

Hochdorf ist die erste Schweizer Gemeinde, die über ein Verbot fossiler Heizungen entscheidet. Doch die Bedeutung des Bundesgerichtsurteils geht weit über das Dorf hinaus. «Es hat Signalwirkung», sagt Staatsrechtsprofessor Markus Kern (44) von der Uni Bern. «Das Bundesgericht hat ein Zeichen gesendet, dass es dem Kampf gegen den Klimawandel durchaus mit Offenheit begegnet.»

Das Recht sei im Grunde konservativ, sagt Kern. «Es ist ein Bewahrer der bestehenden Ordnung. Besonders die Eigentumsgarantie wird oft gegen technologische Veränderungen ins Feld geführt.» Gerade deshalb sei das Verdikt der Bundesrichter von Bedeutung. «In diesem Fall betrifft es fossile Heizungen. Später aber wird sich die gleiche Frage für Autos mit Verbrennungsmotoren stellen und irgendwann auch für fossile Kraftwerke oder Flugzeuge.»

Oder für Solaranlagen. Zwar findet sich im Parlament derzeit keine Mehrheit für eine Solarpflicht für bestehende Bauten. Doch dieses Thema könnte wieder kommen, sagt Anthony Patt (57), Professor für Klimapolitik an der ETH Zürich. «Aufgrund des jüngsten Urteils gäbe es weniger rechtliche Einwände, die gegen eine solche Solarpflicht vorgebracht werden könnten.»

Das Bundesgericht habe klargemacht, dass die Klimaziele wichtig genug seien, um in bestehende Gebäude einzugreifen und von den Besitzern technische Änderungen zu verlangen, sagt Patt. «Das Urteil erleichtert es dem Parlament, einen Ausgleich zwischen den Interessen der heutigen Eigentumsbesitzer und dem Bedürfnis künftiger Generationen nach einem bewohnbaren Planeten zu schaffen.»

Und die Initiative? Werden die Hochdorfer zustimmen? Roman Bolliger ist optimistisch. Geschichte geschrieben hat er bereits.

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